»Shibuya hyperimage« analysiert die Ausprägung und Wirkung zeitgenössicher Werbedisplays im gleichnamigen Stadtviertel von Tokio. Ausgehend von meinem zweimonatigen Aufenthalt vor Ort wird die eigene Seh- und Wahrnehmungserfahrung als Passant untersucht. Die scheinbar wildwuchernden Werbetafeln, Displays und Designelemente werden als „architekturgewordener Browser“ gefasst und medienhistorisch mit den Bildensembles in Kirchen der italienischen Frührenaissance, Barocken Wunderkammern und den Panoramen des 19. Jh. verglichen. Hierbei sind die Thesen zu pluralen Bildgefügen von Felix Thürlemann zentral für die Deutung der hier untersuchten hyperimages. Thürlemann untersucht die verschiedenen Arten der Interaktion von Bildern, Fotografien und Skulpturen die - so seine zentrale These - zusammen einen eigenen, dem einzelnen Element übergeordneten Sinngehalt generieren. »Shibuya hyperimage« fasst Thürlemanns pluralen Bildbegriff sehr weit, indem der architektonische Kontext mit in den Begriff integriert wird und die Überlegungen zum Betrachten von pluralen Bildformen aus der Sphäre der Kunst auf einen Designkontext übertragen werden. Die Analyse der hyperimages wird anschließend rezeptionsästhetisch gedeutet. Hierbei wird vor allem auf Positionen der postmodernen Ästhetik, wie den Überlegungen zur Atmosphäre bei Gernot Böhme, den Begriff der Anästhetik bei Wolfgang Welsch und Byung-Chul Hans Thesen zur Hyperpassivität zurückgegriffen. Nicht zuletzt durch die mediensoziologischen Theorien Petra Löfflers zum Begriff der Aufmerksamkeit zeigt sich, dass der untersuchte Ort nicht ausschließlich Ausdruck einer negativ gedeuteten passiven Reizüberflutung im öffentlichen Konsumraum ist, sondern je nach Standpunkt des Betrachtenden sogar Potentiale der Selbstermächtigung bereithält. Über den offensichtlichen Charakter des Ortes, als Ausdruck einer überdehnten Werbeästhetik zum Zweck des Konsums, ist je nach psychologischer Disposition des Betrachtenden gleichzeitig eine völlig andere Lesart des Ortes möglich. Analog zur Logik des Panoramabesuchs im 19. Jh. können die hyperimages Shibuyas als Ort der Zerstreuung wahrgenommen werden, in dem sich die Aufmerksamkeit beabsichtigt und als selbsthygienische Technik von innen nach außen verlagert.
shibuya hyperimage, in: christina natlacen, reality under construction, fotografische und filmische weltentwürfe sichtbar machen, fotohof edition, bd./vol. 317, 2021 order